Qualitätsoffensive
Ganztagsbetreuung

Schulen, Kommunen, Regierung, Kinder- und Jugendhilfe, Eltern und Schüler*innen
legen Grundstein für flächendeckende Qualität in der Ganztagsbetreuung.

Am 5. Oktober 2022 luden der freie Kinder- und Jugendhilfeträger Jonathan Soziale Arbeit und Startklar Soziale Arbeit Oberbayern gemeinsam mit der Bildungsregion Berchtesgadener Land in die Lokwelt Freilassing zum Fachtag „So gelingt Ganztagsschule“. Bei seiner Begrüßung betonte Jonathan-Geschäftsführer Josef Lutz, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit zwischen Regierung, Schule, Kinder- und Jugendhilfe, Kommunen und Eltern sei. „Es freut mich, dass unter den Teilnehmer*innen neben vielen pädagogischen Fachkräften auch Schulleiter*innen und Bürgermeister*innen sind.“ Denn für Qualität in der Ganztagsbetreuung brauche es alle Akteure, die auf Augenhöhe zusammenarbeiten müssen.

 

Ganztag ist Teamarbeit

„Ganztag ist Teamarbeit“, erklärte auch Barbara Rauscher, Koordinatorin für Ganztagsschulen im Bezirk Oberbayern-Ost von der Regierung von Oberbayern. Die Gymnasiallehrerin kennt aus ihrer beruflichen Erfahrung die vielfältigen Erwartungen, die an eine gute Ganztagsbetreuung gestellt werden.

Schüler*innen wünschen sich vor allem

  • keine Wiederholung des Schulalltags vom Vormittag, sondern einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen.
  • Sie wollen ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Betreuer*innen aufbauen und wünschen sich
  • Unterstützung bei schulischen Problemen sowie ein abwechslungsfreies Bildungs- und Freizeitangebot.

„Die Schulleitung erwartet, dass die Träger der Ganztagsschule durch Qualität überzeugen und so für ihre Schule werben“, weiß Rauscher aus Erfahrung und vielen Schulbesuchen.


Darüber hinaus erhofft sich die Schule, durch eine qualifizierte Betreuung und ein ansprechendes Programm, dass der Zusammenhalt zwischen den Schüler*innen gestärkt wird. Die Träger der Kinder- und Jugendhilfe hingegen fordern eine gute Ausstattung sowohl räumlich als auch personell und wünschen sich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Sie suchen die Vernetzung im Sozialraum mit Vereinen, Musikschulen und weiteren Partnern. Diese sehr unterschiedlichen Erwartungen verglich Rauscher mit einer „Eierlegendenwollmilchsau“, die schwierig zu realisieren sei. Dennoch bat sie alle Beteiligten, mit mutigen und kreativen Ideen auf die Herausforderungen zu reagieren.

Dass es bei der Ganztagsbetreuung viele Mitspieler brauche, bekräftigte die stellvertretende Landrätin aus dem Berchtesgadener Land Elisabeth Hagenauer. „Auch wenn Kommunen für die offene Ganztagsschule zuständig sind, ist es dem Landkreis wichtig, dass wir alle gemeinsam die besten Herausforderungen für unsere Kinder schaffen“, erklärte sie ihr Kommen. Sie betonte, dass die Ganztagsschule ein Lebensraum für Kinder sein müsse, in dem sie für die Zukunft motiviert und gestärkt werden.

 

Bildungsregion Berchtesgadener Land

Katharina Heyking von der Bildungsregion Berchtesgadener Land Verwies anschließend auf Ergebnisse einer landkreisweiten Erhebung zum Betreuungsbedarf der unter zehnjährigen Kinder im Landkreis Berchtesgadener Land, aus der deutlich hervorgeht, dass auch auf dem Land der Bedarf an Ganztagsbetreuung in den letzten Jahren zugenommen hat. Viele Familien nutzen bereits die Ganztagsbetreuung und sowohl der Bedarf, als auch der Wunsch nach Angeboten steigt zunehmend. Daher sei es wichtig, die Akteure in der Region frühzeitig zusammenzubringen, damit man sich gegenseitig helfe und so eine qualitative Betreuung gewährleisten könne. „Der Fachtag sei der Auftakt für weitere Netzwerktreffen“, beteuerte Heyking.

 

Nachgefragt bei Eltern und Jugendlichen

Bei der anschließenden Podiumsrunde, die Josef Lutz von Jonathan Soziale Arbeit moderierte, kamen daher auch Kinder, Jugendliche und Eltern zu Wort, um über ihre Erfahrungen in der Ganztagsschule zu berichten. Ein 17-jähriges Mädchen vom Karlsgymnasium in Bad Reichenhall berichtete, dass sie bereits seit der Grundschule eine offene Ganztagsschule besuche und nach dem Übertritt ins Gymnasium weiter in die Ganztagsbetreuung gehen wollte, weil sie dort nicht alleine war, mit Freunden spielen konnte und Hilfe bei den Hausaufgaben bekam. Heute hilft die angehende Abiturientin selbst in der Ganztagsschule aus und unterstützt jüngere Mitschüler*innen bei den Hausaufgaben. Die anwesenden Eltern nannten die Hausaufgabenbetreuung als großes Plus der Ganztagsschule. Die Kinder kämen dadurch entspannt nach Hause und hätten Zeit für Hobbys oder Familienaktivitäten. Allerdings seien die aktuellen Betreuungszeiten dem Berufsalltag der Eltern oft nicht angepasst. So bemängelten die anwesenden Eltern die unflexiblen Schließzeiten und, dass die offene Ganztagsschule am Freitag oft gar nicht stattfinde, der Beruf aber schon. Darüber hinaus wünschten sich die Eltern, dass mit der Einschulung auch der Start in einer Ganztagsschule vorbereitet werden sollte, damit die Erstklässler gut in den Schulalltag auch am Nachmittag starten können und forderten eine gemeinsame kostenfreie Mittagsspeisung, die gemeinschaftlich – zumindest in Gruppen – eingenommen werde. Damit all das gelingt, braucht es gemeinsame Konzepte von Schule und Jugendhilfe.

 

Ganztagschule - ein hybrider Sozialisationsort

Das sieht auch Isabelle Dubois, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Jugendinstitut, so, die in ihrem Impulsvortrag dazu aufrief, das Säulendenken – auf der einen Seite Schule, auf der anderen Seite Jugendhilfe – aufzugeben und sich auf ein gemeinsames Ziel, was Bildung und Chancengleichheit bedeutet, zu verständigen. Bereits heute ist jedes zweite Grundschulkind in Deutschland in einer Ganztagsbetreuung untergebracht und die Zahlen werden mit dem Rechtsanspruch noch steigen.

Dubois warb für ein kooperatives Modell der Ganztagschule als neuen hybriden Sozialisationsort, in dem zwei Systeme zusammenwachsen und präsentierte die wichtigsten Gelingensbedingungen für eine OGTS der Zukunft. Sie warb dafür, alle Akteure an der Prozessentwicklung zu beteiligen, um gemeinsam Konzepte und Rahmenbedingungen zu erarbeiten. Zu den Rahmenbedingungen zählen vor allem ausreichend und qualifiziertes Personal sowie eine gute finanzielle und räumliche Ausstattung. Die Schulleitungen hätten eine Vorreiterfunktion und müssten in multiprofessionellen Teams für klare Zuständigkeiten sorgen. Dabei brauche es eine partnerschaftliche Kooperation zwischen Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften. Lehrkräfte müssen an der Ganztagsbetreuung am Nachmittag ebenso beteiligt werden wie Sozialarbeiter*innen am Schulunterricht. So könne es gelingen schulische Angebote und Angebote der Ganztagsschule sinnvoll zu verzahnen. Für eine gute Akzeptanz des Angebots brauche es stärkere Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Sie sollen erfahren, dass sie mitbestimmen und Prozesse selbstbestimmt gestalten können. Außerdem solle Ganztag an verschiedenen Orten stattfinden. So können beispielsweise Angebote von Vereinen, Musikschulen oder Jugendtreffs sinnvoll verknüpft werden. 

 

Aus der Praxis: Leuchtturm Erika-Mann-Gesamtschule Berlin

Dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis funktionieren, zeigte Mike Menke von der Erika-Mann-Gesamtschule in Berlin. Seit August 2022 gibt es in Berlin den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen. Der Leiter der Ganztagsschule erläuterte anschaulich wie mit ausreichenden finanziellen Mitteln, Mut und Innovationsgeist ein Schulsystem völlig neu aufgestellt werden kann. An der Erika-Mann-Grundschule arbeiten in diesem Schuljahr 67 Lehrkräfte, 57 Erzieher*innen, neun Schulbegleitungen und zwei Sozialpädagog*innen auf Augenhöhe zusammen. Menke betonte, dass natürlich alle Erzieher*innen auch im Schulunterricht dabei seien, damit sie die anvertrauten Kinder auch am Vormittag erlebten und so ein ganzheitliches Bild bekämen. Elterngespräche und regelmäßiger Austausch im Kolleg*innenkreis seien selbstverständlich. Zudem konnte an der Schule ein sinnvolles Raumkonzept umgesetzt werden und an die Stelle eines starren Unterrichtplans ist ein Werkstattprinzip gerückt, das mehr Freiraum bietet. Die Pausen werden aktiv von den Erzieher*innen gestaltet und an den Nachmittagen können die Kinder aus über 20 verschiedene Angeboten wie beispielsweise Theater, Kochen, Computer, Tanzen oder Trommeln auswählen. Durch das breite Angebot gelingt es, die Kinder individuell zu fördern und so ein Tor in die Welt aufzustoßen. Selbstredend, dass auch die Schließzeiten in Berlin an die Lebenswelt der Eltern angepasst sind. Dort gibt es von Montag bis Freitag, von 6 bis 18 Uhr, eine Betreuung, auch in den Ferien.

 

Ausblick

Am Ende waren sich alle einig, dass möglichst bald weitere Treffen stattfinden sollen, um gemeinsam Konzepte zu erarbeiten. Dabei brauche es aber verlässliche Rahmenbedingungen von Regierung und Kommunen und eine adäquate finanzielle Ausstattung. An der Motivation der pädagogischen Fachkräfte mangelt es nicht.

 

Bildunterschrift
Gemeinsam Zukunft schaffen: v. l. Josef Lutz, Geschäftsführer Jonathan Soziale Arbeit, Barbara Rauscher, Koordinatorin für Ganztagsschulen an Gymnasien von der Regierung Oberbayern, Elisabeth Hagenauer, stellv. Landrätin Berchtesgadener Land, Mike Menke, Leiter Ganztagsschule an der Erika-Mann-Gesamtschule Berlin, Katharina Heyking und Julia Aschauer von der Bildungsregion Berchtesgadener Land, Silvio Gödickmeier, Geschäftsführer von Startklar Oberbayern und Susanne Coenen, Geschäftsführerin der Trägergesellschaft Startklar Soziale Arbeit.

 

Hier finden Sie einen Beitrag vom Regionalfernsehen Oberbayern zu unserem Fachtag.  


Die Ganztagsbetreuung bei Jonathan Soziale Arbeit und Startklar Soziale Arbeit Oberbayern


Bereits 2004 hat Jonathan Soziale Arbeit die erste Ganztagsschule, mit 15 Schüler*innen an der Mittelschule in Piding, eröffnet. „Wir waren damals echte Pioniere in dem Bereich“, erklärt Rainer Hüller, der gemeinsam mit Kerstin Hogger für die Ganztagsbetreuung an Schulen in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land bei Jonathan Soziale Arbeit verantwortlich ist. Mittlerweile betreuen 64 pädagogische Fach- und Hilfskräfte über 700 Schüler*innen an zehn Schulen. „Wir schöpfen aus einer langen Erfahrung und haben mittlerweile gut funktionierende Konzepte und Methoden entwickelt, um den vielen Anforderungen gerecht zu werden“, erklärt Silvio Gödickmeier, Geschäftsführer von Startklar Oberbayern , und ebenfalls Träger von offenen Ganztagsschulen.
„Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 stellt auch uns nochmal vor neue Herausforderungen. Zum einen spüren wir natürlich den Fachkräftemangel deutlich und zum anderen wachsen auch die Herausforderungen an die Mitarbeiter*innen, die mit den Corona-Auswirkungen, den gestiegenen Lebenshaltungskosten und den damit verbundenen finanziellen Folgen konfrontiert sind“, erklärt Josef Lutz und ergänzt: „Wir brauchen daher eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit die Ganztagsschule weiterhin und nachhaltig ein Ort der Freude, des gemeinsamen Tuns und Lernens bleibt. Das sind wir unseren Kindern schuldig.“


 

2022 Fachtag OGTS Josef Lutz, Geschäftsführer Jonathan Soziale Arbeit, begrüßt die rund 80 Teilnehmer*innen.
Was wünschen sich Schüler*innen und Eltern? Josef Lutz hat am Fachtag nachgefragt.
Wie gelingt eine gute Vernetzung im Sozialraum? Workshop mit Silvio Gödickmeier, Geschäftsführer von Startklar Oberbayern.
Isabelle Dubois

Ganztagsschule, ein hybrider Sozialisationsort, von Isabelle Dubois, wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut.

Mike Menke

So geht Ganztagsschule: Mike Menke, Leitung der Ganztagsschule an der Erika-Mann-Gesamtschule.

Workshop Anna Seemann

Personalentwicklung in der Ganztagsschule, ein Workshop mit Anna Seemann, Lehrgangsleiterin an der Akademie für Ganztagspädagogik.

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