Eltern begleiten, Systeme verstehen

Gespräch zwischen zwei Personen

Ein Gespräch mit Tobias Weichelt, Elternfachdienst von Startklar Niederbayern

Carina Marko: Vielen Dank Tobias, dass du dir heute Zeit nimmst, um uns einen kleinen Einblick in deine Arbeit zu geben. Du arbeitest seit 2007 bei Startklar Niederbayern und bist unter anderem als Elternfachdienst tätig.
Was ist der Elternfachdienst überhaupt und wie grenzt er sich von der Elternarbeit ab?

Tobias Weichelt: Als Elternfachdienst bin ich Ansprechpartner für alle Themen, die die Eltern beschäftigen. Ich bringe die Sichtweise der Eltern mit in die Teams der Wohngruppen und unterstütze die Wohngruppen im Umgang mit den Eltern.

Ein sehr zentraler Punkt meiner Arbeit ist es, die Eltern in unseren gemeinsamen Terminen in ihrer Rolle und Sichtweise ernst zu nehmen und Verständnis entgegen zu bringen. Viele haben Schutzmechanismen aufgebaut, die ich so versuche, abzubauen. Erst dann ist eine ehrliche Reflexion möglich.

Da ich nicht im Gruppendienst arbeite, befinde ich mich auf einer neutraleren Ebene und kann im Rahmen des Elternfachdienstes ausführlicher auf die Themen der Eltern eingehen, wie z.B. deren persönliche Geschichte sowie aktuelle Befindlichkeiten. Dies erleichtert es, gemeinsam mit den Eltern eingefahrene und belastete Situationen und Dynamiken mit Jugendämtern sowie Jugendhilfeeinrichtungen aus systemischer Sicht zu reflektieren. So kann man auch an möglichen Strategien im Umgang mit diesen arbeiten.

Carina Marko: Die Aufgabe des Elternfachdienstes bringt sicherlich auch Herausforderungen mit sich. Wie viele Eltern melden sich von sich aus bei dir? Was sind aus deiner Sicht die Hürden für die Eltern?

Tobias Weichelt: Der Elternfachdienst agiert öfter in der nachgehenden Arbeit. Das heißt, dass der Kontakt geschätzt zu 85% vom EFD ausgeht. Jedoch kommt es auch vor, dass sich Eltern mit konkreten Anliegen bei mir melden.

Meines Erachtens haben die Eltern oft schon viele, meist auch negative Erfahrungen mit der Jugendhilfe gemacht. So stellt ein weiterer Termin mit der nächsten Fachkraft, also mit mir, eine Hürde dar, da sie unsicher sind, ob diese Person sie auch wirklich unterstützt, oder ihnen weitere Aufträge erteilt, oder sie in ihrem Wert angreift.

Carina Marko: Wie gehst du damit um, wenn sich Eltern nach dem ersten Kennenlernen nicht mehr melden?

Tobias Weichelt: Das „Nachgehen“ gehört zu meinem Arbeitsbereich dazu. Daher kontaktiere ich die Eltern in regelmäßigen Abständen. Natürlich gibt es hier Eltern, mit denen dann ein konstruktives Gespräch möglich ist, andere lassen es eher über sich ergehen.

Teilweise nervt mich das, vor allem wenn ich das Gefühl habe, dass die Eltern eigentlich nichts wirklich wollen. Dann reduziere ich auch die Kontakte. 

Carina Marko: Mit welchen Themen kommst du mit den Eltern in das Gespräch – was treibt sie am meisten um?

Tobias Weichelt: Zum Einstieg erzählen die Eltern meist davon, wie ihre Kinder in die Wohngruppe gekommen sind. Dabei erlebe ich oft, dass die Eltern nicht verstehen, warum die Kinder nicht mehr bei ihnen wohnen dürfen. Sie erzählen dann oft über ihre Wut oder den Ärger in Bezug auf die Jugendhilfe. Auch erlebe ich viel Unklarheit darüber, was sie tun können, damit die Kinder wieder bei ihnen wohnen dürfen.

Daher frage ich nach fundierten Informationen, also Berichten und Aussagen der Jugendamtsmitarbeiter*innen, um mehr Klarheit zu erhalten. Dabei fällt auf, dass einerseits einige Informationen aufgrund des Ärgers sowie der Schutzmechanismen der Eltern von diesen verzerrt wahrgenommen werden. Andererseits bestehen teilweise auch Informationslücken seitens der Jugendämter, die es schwermachen, die Herausnahme von Kindern nachzuvollziehen.

Carina Marko: Was machst du, um nicht zu tief in „verworrenen“ Familiensystemen abzutauchen und die Vogelperspektive zu behalten?

Tobias Weichelt: Grundsätzlich ist der Austausch im Team, mit dem psychologischen Fachdienst sowie dem WG-Team wichtig, um alle Sichtweisen zusammenzubringen. So können alle Beteiligten ein breit gefächertes Bild vom jeweiligen Familiensystem erhalten.

Dies hilft auch dabei, die eigene Sicht und Befindlichkeit zu reflektieren und somit arbeitsfähig zu bleiben. Auch gehört es dazu, in einem geschützten Rahmen, auch mal „schimpfen“ zu können. 

Carina Marko: Dein Job klingt anspruchsvoll, aber auch sinnstiftend. Was motiviert dich?

Tobias Weichelt: Wenn Eltern beginnen, sich wirklich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen, Verantwortung zu übernehmen – dann spürt man, dass sich etwas bewegt. Es ist ein kleiner Schritt, der aber verändernde Prozesse in Gang setzt. Die Eltern zu bewegen und mit ihnen auf dem Weg zu sein, bereitet mir viel Freude.

Carina Marko, Startklar Niederbayern, im Gespräch mit Tobias Weichelt, Flexible Hilfen und Elternfachdienst, Startklar Niederbayern

Tobias Weichelt, Flexible Hilfen und Elternfachdienst Startklar Niederbayern

 Carina Marko, Startklar Niederbayern

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