Wenn Verzweiflung ein Kind zur Flucht zwingt

Zwei Hände ziehen gemeinsam an einer Schnur als Symbol für Zusammenhalt, Unterstützung und Gemeinschaft.

Getrennt von der Familie, ohne Schutz, in Armut: So wachsen Hunderttausende Kinder in Burkina Faso auf. Viele arbeiten unter gefährlichen Bedingungen, manche werden verkauft – an Menschenhändler, bewaffnete Gruppen oder in die Ausbeutung. Hamza (Name geändert) war eines dieser Kinder. Getrieben von Angst und Hoffnungslosigkeit floh er mit acht Jahren allein aus seiner Heimat. Fünf Jahre irrte er durch Westafrika und Europa, bis er ungeplant in Deutschland landete – ein Zufall, der sein Leben veränderte. Heute, mit 19, lebt er betreut in Niederbayern und blickt hoffnungsvoll in die Zukunft.

Burkina Faso zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Schon seit langem steckt das Land in einer tiefen Krise. Politische Instabilität, der Aufstieg von dschihadistischen Gruppen und sozioökonomische Probleme sind nur einige der Ursachen dafür. Wegen der anhaltenden Gewalt befinden sich mehr als zwei Millionen Menschen innerhalb des Landes auf der Flucht. Die Probleme machen auch vor den Jüngsten nicht halt. Laut Angaben von SOS Kinderdorf wachsen 770.000 Kinder ohne Eltern auf. Viele von ihnen haben zu wenig zu essen und müssen teils unter gefährlichen Bedingungen arbeiten, um zu überleben. Eine weitere Folge der Armut ist der Kinderhandel. Um einen Esser weniger versorgen zu müssen, verkaufen oder verschenken Eltern ihre Kinder – an Menschenhändler, Kinderarbeitgeber, sexuelle Ausbeuter oder Armeen bzw. bewaffnete Gruppen. Einer davon ist Hamza.

Flucht als einziger Ausweg 

Befragt man Hamza zu seiner Kindheit, wird sein Blick unstet. Sei es, weil das Trauma einen Erinnerungsverlust bewirkt hat und Bilder fehlen, sei es, weil er die Dämonen der Vergangenheit nicht wecken möchte. Mit acht Jahren gab es für ihn nur mehr einen Ausweg: fliehen. Ohne konkretes Ziel, ohne den Schutz von Angehörigen. „Ich hatte keine Wahl“, erzählt er. Er schloss sich anderen Flüchtenden an. In einem Alter, in dem deutsche Kinder die Grundrechenarten in der Grundschule lernen, lernte er zu überleben. Um sich über Wasser zu halten, ergriff er jede Gelegenheit, um Geld zu erbetteln oder zu verdienen.

Reise ins Ungewisse

Fünf Jahre trieb Hamza heimatlos von einem Land ins nächste. Der Weg führte von Burkina Faso über Mali nach Marokko und Spanien. Schließlich landete er in Frankreich. Dort wurde der mittlerweile 13-Jährige sich selbst überlassen. Wie er allein nach Deutschland kam, kann er heute nicht mehr genau rekonstruieren. Hamza war in einem Bus eingeschlafen und wachte in Stuttgart auf. Dort wandte er sich hilfesuchend an die Polizei. Die brachte den unbegleiteten Jungen in einer Wohngruppe von Startklar Niederbayern unter. Die Zufallslandung auf einer gefährlichen Reise wurde zum Wendepunkt seines Lebens. Der Junge aus Burkina Faso fand einen Ort, an dem er sicher war und ein Team, das ihn auffing und professionell dabei unterstützte, anzukommen und neue Perspektiven zu entwickeln.

„Wir sind überzeugt, dass jeder Mensch die Chance auf ein würdiges Leben verdient, unabhängig von seiner Herkunft oder Fluchtgeschichte.“

Barbara Bruckmeier, Geschäftsführerin Startklar Soziale Arbeit Niederbayern

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Ein Zuhause auf Zeit

Startklar Niederbayern verfügt über acht stationäre Einrichtungen. In diesen werden Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 21 Jahren, die entweder vorübergehend oder auf Dauer nicht bei ihren Eltern leben können, im Auftrag des Jugendamtes untergebracht. Dazu gehören auch unbegleitete, geflüchtete Kinder und Jugendliche. Ziel ist es, die Lebenssituation von Geflüchteten zu stabilisieren und ihnen dabei zu helfen, in Deutschland Fuß zu fassen.

Geglückter Start in Deutschland

Mithilfe seiner langjährigen Sozialarbeiterin aus der Wohngruppe gelang es Hamza, erfolgreich in Deutschland Fuß zu fassen. Jugendliche mit Fluchthintergrund stehen oft vor erheblichen Herausforderungen, wie dem Zugang zu Bildung, Arbeits- und Wohnungsmarkt und sozialer Integration. Die Wohngruppe begleitete ihn empathisch und unterstützte ihn, persönliche und berufliche Perspektiven zu entwickeln. Der nun 19-Jährige ist mittlerweile von der Jugend-WG in das Betreute Wohnen umgezogen. Bei dieser Betreuungsform leben acht Jugendliche selbstständig in WGs und werden von drei Betreuer*innen bedarfsorientiert unterstützt.

Neben der sozialen Begleitung unterstützt seine Betreuerin ihn bei Behördengängen und Arztterminen. Die Sozialarbeiterin freut sich über die großen Erfolge von Hamza: „Er spricht ausgezeichnet Deutsch, schließt in Kürze eine Ausbildung als Maler ab, spielt Fußball im Verein, besitzt mittlerweile den Führerschein und hat sich durch seine gewinnende Art ein Netzwerk in Deutschland aufgebaut. Seiner schwierigen Kindheit zum Trotz hat er viel erreicht – erst aus kindlicher Kraft, dann mit unserer Hilfe. Er hat überlebt und sich mit Fleiß ein neues Leben aufgebaut. Er möchte in naher Zukunft ausziehen und alleine leben. Das ist ein großer Erfolg.“

Das Kind, das einst keinen anderen Ausweg sah, als zu fliehen, ist angekommen.

„Hamza hat unglaublich viel erreicht. Wir sind stolz auf ihn.“

Maria Jäger, im Auftrag von Startklar Soziale Arbeit

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